Wieso muss ich das Lebewesen Pferd "kindgerecht" erklären?
Wieso muss ich das Pferd "kindgerecht" erklären?
Zwei gravierend negative Erlebnisse (eigentlich noch so einige mehr, aber das würde zu weit führen, nachzulesen weiter unten) und auch eine sehr positive Erfahrung lassen uns immer wieder überlegen, wie man die Möglichkeit nutzen kann, zumindest einem kleinen Teil der Kinder- und Jugendlichen zu erklären, dass ein Pferd ein Lebewesen ist, versorgt werden muss, nicht immer Leistungen bringen kann und auch mal Ruhephasen braucht.
Warum nun eigentlich das Ganze, die Eltern oder Reitställe können den Kids das doch auch beibringen und zeigen und erklären…
Scheinbar nicht (Ohne Vorwurf und ganz ohne Wertung unsererseits!) Wir haben uns letzte Zeit viel informiert und rumgehört, Eltern gefragt, wie und was ihre Kinder beim Reitunterricht lernen. Ja, sie lernen reiten, aber wieso funktioniert mein Pferd eigentlich oder auch, warum funktioniert es jetzt grad mal nicht – dazu ist leider oftmals keine Zeit.
Wir halten es nicht für gut, das Kind auf ein Pony zu setzen, dann meint es nach ein paar Reitstunden, es kann jetzt reiten und die Welt ist in Ordnung. Aber was Wesen Pferd kennen die wenigsten im Detail.
Wo hat man in Reitschulen noch die Zeit und die Ruhe mit den Kids zusammen die Pferde zu holen, zu putzen, zu satteln und auch mal was zu erklären – leider wenig. Und vor allem muss diese zusätzliche Arbeitszeit des Stallbetreibers / Reitlehrer / Trainer auch bezahlt werden…. Da hapert es leider auch oft, da der Sinn darin nicht gesehen wird.
(Ohne es zu bewerten, aber viele Eltern geben dem Wunsch des Kindes nach Reitstunden nach, was auch gut ist, der Kontakt von Kindern zu Tieren ist enorm wichtig.) Aber das hier auch die Theorie eine große Rolle spielen sollte und dass ein vernünftiges und pferdegerechtes Reiten auch vom theoretischem Wissen abhängt, wissen die wenigsten, wenn sie nicht selber bereits langjährige Pferde und / oder Reiterfahrung haben.
Achtung, teilweise etwas ironisch geschrieben, aber basierend auf Tatsachen, selbst erlebt!
Unsere sehr positive Erfahrung hatten wir dieses Jahr zu unserem Seminar „Erste Hilfe am Pferd“. Eine Mutter schrieb mich an, ob ihre Tochter von 12 Jahren an dem Seminar auch teilnehmen kann. Sie haben zwar einen Fahrweg von rd. 2 Stunden, aber die Tochter ist nicht von abzubringen, sie will absolut zu diesem Seminar.
Okay, dachten wir so, diese Motivation werden wir nicht unterbinden, also hat sie teilgenommen, und zwar voll motiviert in Theorie und Praxis. Wir waren begeistert und das war so der Grundgedanke zu einem entsprechenden Wochenende geboren - was leider nicht funktioniert hat.
Zu diesem motivierten Grundgedanken fielen mir spontan zwei weniger schöne Erlebnisse ein (sie sind nicht erdacht, wurden mir nicht aus dritter Hand erzählt, sondern ich habe sie selbst so erlebt)
Eines unsere negativen Erlebnisse beruht auf dem Aspekt, Kind auf ein Pony zu setzen, dann meint es nach ein paar Reiteinheiten, es kann jetzt reiten und die Welt ist in Ordnung. Naja, wenn Pony dann mal Pony ist, also etwas zickig und nicht so will wie die kleine Reiterin (oder Reiter, ganz egal) da oben drauf, dann helfen wir auch mal mit eine Gerte nach oder binden der Tochter / oder Sohn auch noch Sporen an die Stiefel, damit Pony auch richtig Lust auf springen hat.
Nein, meint ihr, das ist erfunden, das macht ein Kind nicht ? Sorry, so erlebt auf einem Reitertag, mit eigenen Augen gesehen, ich stand direkt davor an der Bande. Das Kind drosch so auf ihr Pony ein, weil es den Sprung verweigert hat, dass die Richter ohne zu zucken eine Disqualifizierung ausgesprochen haben !!! Die Reiterin war maximal 10 Jahre !
Sie sprang vom Pferd, wutschnaubend und mit rotem Kopf stampfte sie vom Platz und lies ihr Pferd stehen mit den Worten "Du scheiß Gaul"... worauf die Mutter sie auch noch tröstete und meinte, dann müssen wir wohl ein anderes Pferd kaufen.... Ich möchte nicht wissen, wie es dem Pony danach ergangen ist... hätte es ab liebsten schützend mitgenommen…
Ein anderes negatives Erlebnis ist schon Jahre her, war aber für mich bereits sehr prägend und nie vergessend:
Ich war ca. 14 oder 15 Jahre, vielleicht auch schon 16…. In Berlin (West) gab es ja nicht viele Möglichkeiten zum Reiten oder Pferde pflegen oder einen Aushilfsstalljob zu bekommen.
Also schaute ich im Telefonbuch (so ein gelbes großes dickes Buch mit vielen Seiten und Namen und Telefonnummern aus ganz Berlin) wo denn was bei uns in der Nähe, also für mich mit der Bahn / Bus zu erreichen, ist.
Also fuhr ich einfach hin, um grundsätzlich mal zu schauen, wie es da so ist. Ich kam zufällig gerade rechtzeitig an, um bei einer in ca. 10 Minuten beginnenden Reitstunde zusehen zu können. Ein Mädel, auch so zw. 14-15 Jahren, stiefelte in auf Hochglanz polierten Stiefeln – Staub wurde immer wieder mit einem Tuch abgewischt – weißer frisch gewaschener Hose und weißen absolut scheinbar noch nicht genutzten Handschuhen hocherhobenen Kopfes (seht ihr mich auch alle) über den Hof. Soweit vielleicht ja noch in Ordnung, jeder so wie er es mag. Aber dann kam der Clou! Sie blieb vor dem Stall stehen, reingehen war ja nicht drin, brüllte (ja wirklich, sie brüllte) in den Stall rein „… Hey, Stallbursche Hugo (erdachter Name) wo bleibt mein Pferd, habe jetzt Reitstunde, mach mal zackig…“ (das war es wortwörtlich… diese Worte habe ich nie vergessen). Dieser kam dann auch umgehend kleinlaut mit gesenkten Kopf (Bild hat sich einfach eingeprägt) mit einem Pferd raus und sagte „.. entschuldige die Verspätung, bitte schön…“
Puh, dachte ich, dass ist nicht so wirklich das was du suchst, aber wir machen uns den Spaß und schauen bei der Reitstunde zu. Es waren etwa 5-6 Reiter/in, die brav in der Halle die Anweisungen der Reitlehrerin ausführten… bis auf „Madame“ (sorry). Sie ritt ¾ Stunde immer an der Bande lang, ignorierte jeden anderen, war nur darauf bedacht gerade und hoch erhobenen Kopfes zu reiten und zu schauen, dass auch Jeder sie sieht. Anweisungen ausführen… „ …ne warum, ich kann doch reiten, seht ihr doch!..“ (so war ihr Gesichtsausdruck für mich zu deuten) Zur Reitlehrerin sagte sie „… da hab ich kein Bock drauf, das kann ich doch schon lange…“
Aber der krönende Abschluss kam noch, zum Glück war ich eisern und habe wirklich durchgehalten zuzuschauen. Sie ritt aus der Halle, nicht wie alle anderen in der Halle absteigen und das Pferd rausführen, stieg dann vor dem Stall-Boxen-Trakt ab und brüllte (ja sie brüllte wieder, es war kein lautes rufen!) „Hey Hugo, nimm mein Pferd es ist dreckig, meine Hose hat auch was abbekommen, muss mich umziehen!“
Bin dann nach Hause und habe das Gelände dort nie wieder betreten! Wenn man dort sowas zulässt…. Wer weiß, ob von dem Kaliber da noch mehr rumlaufen. Ich habe nichts gegen weiße Hosen und Handschuhe, aber da sieht man nun mal den Staub / Dreck drauf, dann muss man da auch mit leben.
Wenn ich damals so drauf gewesen wäre, wie ich es heute bin… oje.. sie hätte nichts zu lachen gehabt… Wie kann man ein Pferd, allgemein ein Lebewesen, als Gegenstand behandeln, ohne jegliche Emotionen… es geht mir bis heute nicht in den Kopf…
Wir würden uns über positive und negative Erlebnisse eurerseits freuen.
Euer WSR-Team
Erstellt August 2019